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Wie ChatGPT zur seriösen Stimme im Social-Media-Misthaufen wird
20.06.2025 KI wird nicht das Internet fressen - aber vielleicht die Geschäftsgrundlage für Demokratie und Meinungsaustausch. Denn während sich ChatGPT & Co. auf dem Weg zum "Plateau der Produktivität" machen, verlieren klassische Content-Angebote an Bedeutung. Was bleibt? Mehr Mist!
Konkret besteht der Hype Cycle aus fünf Phasen:
- Innovation Trigger: Eine neue Technologie wird bekannt und erzeugt erste Aufmerksamkeit.
- Peak of Inflated Expectations: Überzogene Erwartungen schrauben die Wahrnehmung der Technologie in die Höhe.
- Trough of Disillusionment: Ernüchterung setzt ein, wenn die Technologie hinter den Erwartungen zurückbleibt.
- Slope of Enlightenment: Die Technologie reift, erste erfolgreiche Anwendungen entstehen.
- Plateau of Productivity: Die Technologie wird produktiv eingesetzt.
Bei KI-Anwendungen - genauer: Generative AI - scheint gerade Ernüchterung einzukehren. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen, aber auch Anwendungen und Qualität werden kritischer betrachtet. Gartner selbst hält den Höhepunkt der Erwartung bereits für überschritten und auch andere Studien zeigen, dass inzwischen viele Nutzer KI für überbewertet halten (nach der gerade erschienenen GoTo-Studie "The Pulse of Work in 2025: Trends, Wahrheiten und die praktische Anwendbarkeit von KI


Gerade in der dritten Phase des Hype Cycles ist es jedoch nicht leicht zu unterscheiden, ob Anwendungsbeispiele enttäuschen, weil die Technik noch nicht ausgereift ist (oder einfach falsch eingesetzt wurde) - oder ob sich systemische Grenzen offenbaren, die deutlich schwieriger (oder gar nicht) zu überwinden sind.
An einer solchen Gretchenfrage scheint die Branche aktuell zu stehen, wenn es um die Frage geht:
Welche Rolle werden Suchanfragen, Websites und Shops in Zukunft spielen?
Die (überzogene) Erwartung lautet dabei: Klassische Suchmaschinen werden in Zukunft weitgehend überflüssig - ebenso wie die Websites, auf die sie verweisen. Die Menschen werden immer mehr Anfragen an eine AI wie ChatGPT stellen und mit der Antwort viel zufriedener sein, als mit einer klassischen Webrecherche. Eine Frage, eine präzise Antwort - so wünschen sich Verbraucher das Netz.Auf den ersten Blick ist diese Entwicklung zutreffend: Googles Antwortboxen, die einfache Fragen schon auf der Suchergebnisseite beantworten, erfreuen sich schon seit Jahren großer Beliebtheit. Die zuletzt eingeführten "AI Overviews" (AIO) sind in der Lage, auch komplexe Fragen und Zusammenhänge (meist) vollständig zu beantworten. Folge: Sogenannte "Zero Click Searches" - Suchen, bei denen keine einzige externe Website mehr aufgerufen wird - werden zunehmend zum Standard. Um bis zu zwei Drittel sinkt die Click-Through-Rate (CTR) an Desktop-PCs, auf mobilen Geräten fast um die Hälfte, haben Studien herausgefunden. Und selbst die kleinen Info-Snippets sind oft schon zu viel Information: Etwa 70 Prozent der Suchenden lesen nur das obere Drittel der KI-Box. Nur eine Minderheit scrollt weiter.
Bei komplexeren Anfragen helfen ausgewachsene Systeme wie ChatGPT. Hier lassen sich nicht nur Texte verfassen, sondern auch Produkte und Dienstleistungen in der Tiefe vergleichen. Gerade jüngere Menschen greifen inzwischen in allen Lebenslagen zu diesen Werkzeugen, auch wenn es um komplexere oder wichtige Entscheidungen - etwa dem Vergleich der Konditionen verschiedener Banken oder um Gesundheitsfragen - geht. Sogar emotionale Bindungen lassen sich aufbauen, weshalb viele Menschen dazu übergehen, beispielsweise ChatGPT als Coach oder persönlichen Lebensberater zu akzeptieren.
Auch wenn es hier das Tal der Enttäuschung - Phase 3 im Hype Cycle - noch nicht vollständig durchschritten ist (Stichwort: Halluzinationen), zeichnen sich doch bereits deutlich funktionierende Anwendungsbeispiele ab - Phase 4 im Hype Cycle.
Und es geht ja noch weiter: Die logische Fortsetzung dieser künstlichen Unterstützung liegt in Agentic AI (derzeit in Phase 1 und 2 des Hype Cycles). Autonome KI-Agenten sollen bei dieser Entwicklung nicht nur Recherche und Informationsaufbereitung übernehmen, sondern die komplette Dienstleistung abwickeln. Das heißt: Statt nur einen günstigen Flug zu suchen, soll gleich die ganze Reise organisiert werden. Statt die Kontokonditionen zu recherchieren, soll gleich das Bankkonto eröffnet werden. Statt Produkte zu vergleichen, soll gleich bestellt werden.
Agentic AI: Ein Internet ohne Web
In einem solchen Szenario stellt sich zwangsläufig die Frage, welche Rolle in Zukunft Websites, Content und Webshops spielen werden. Der Besuch eines Webangebots wird schließlich weitgehend überflüssig, und auch Shops sind bestenfalls noch für den Check-out und schlimmstenfalls (Agentic AI) gar nicht mehr notwendig.Prominente Vordenker wie Mario Fischer




Maschinenlesbare Datenbanken statt Websites, damit die KI-Systeme einen besseren Zugriff erhalten? Technisch betrachtet ist dieser Gedanke folgerichtig und entspricht der natürlichen Forderung der AI-Hersteller. Das zeigt sich deutlich beim Thema E-Commerce: OpenAI kooperiert mit Shopify, um direkten Zugriff auf die Produktdaten der Shops zu erhalten. Google nutzt zu diesem Zweck seinen mächtigen Shopping-Graph mit Milliarden Einträgen. Jeweiliges Ziel: hohe Verfügbarkeit, Qualität und Aktualität der Daten. Insofern ist Fischers Gedanke folgerichtig.
Am Ende ist nur Geld wertvoller als Content
Der Gedanke bezieht sich aber selbstverständlich nur auf den Verbreitungsweg der Daten (Datenbank statt HTML) - nicht auf den Inhalt. Fischer prognostiziert keinen inhaltlichen Bedeutungsverlust. Das wäre auch falsch. KI kann nur stark sein, weil die Systeme auf Unmengen an Content aus dem Internet zugreifen können: Zeitungen und Zeitschriften, wissenschaftliche Publikationen, Bücher, Erfahrungsberichte, Meinungen und Analysen in User-Foren, Reviews und Tests ...Ein beträchtlicher (und wertvoller!) Teil dieser Inhalte entsteht jedoch nicht, um eine Datenbank zu füllen, sondern weil Menschen miteinander kommunizieren möchten. Statistiken und Produktdaten mögen in Datenbanken gespeichert werden. Es scheint aber kaum vorstellbar, dass ein Content-Creator sein YouTube-Video über die Planung seiner Abenteuerreise mitsamt Ausrüstungstipps veröffentlicht, um es anschließend in eine Datenbank hochzuladen, wo es niemand sieht. Ein Ökonom wird seinen Debattenbeitrag über die Auswirkungen von Unternehmenssteuererhöhungen nicht für eine KI schreiben und ein Autotester wird seinen Fachartikel nicht für einen Bot verfassen.
Führt man die Gedanken zusammen, wird vielleicht am ehesten eintreten, was Netzökonom Holger Schmidt



KI frisst nicht Content - sondern Qualiät
Die Konsequenz daraus: Es wird weniger Contentangebote geben. Weil Content schlechter vermarktbar sein wird. Oder anders ausgedrückt: Die Ergebnisse des Waschmaschinentests der Stiftung Warentest - und einige Details dazu - verlieren nicht an Bedeutung - wohl aber der Artikel selbst.Das bedeutet aber nicht, dass Content abgeschafft wird. Denn zugleich gibt es ja nicht weniger Menschen, die ein Interesse an Waschmaschinentests haben. Und es gibt nicht weniger Menschen, die ein Interesse daran haben, dass ihre Produkte in Waschmaschinentests erscheinen. Die logische Folge: Es wird mehr Content geben, der gar nicht zu dem Zweck geschaffen wird, um von einem Menschen gelesen zu werden. Vermutlich wird es regelrechte Content-Kampagnen geben, die konkret darauf abzielen, die Ergebnisse von KI-Agenten zu beeinflussen. Für diesen Content spielt es keine Rolle, dass er nur für Bots geschrieben ist. Schließlich ist er ist nur dafür gedacht. SEO für KI - KIO.
Der von Fischer gedachte, auf AI zugeschnittene Content, wird also zunehmen. Der für Menschen gemachte Content wird sich dagegen schlechter vermarkten lassen und deswegen weniger werden.
KI-Systeme selbst haben zwar ein gewisses Interesse daran, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Sie benötigen schließlich fundiertes, unabhängiges Wissen. Weil es davon immer weniger gibt, werden Quellen wie User-Bewertungen, Reddit-Foren, Social-Media-Beiträge und (bezahlte) Produkt- und Preisvergleichsseiten wichtiger und zwangsläufig aufgewertet. Dort muss aber nicht hochwertig recherchiert, bewertet und verglichen werden. Qualitätsfilter gibt es kaum bis gar nicht, stattdessen ist Aufmerksamkeit alles. Stimmungen lassen sich mit Kampagnen lenken und beeinflussen.
Halluzinogene für "gefühlte" Qualität
Das Ergebnis: Ein System intransparenter, interessengeleiteter Informationsangebote, die lediglich algorithmenbasiert gefiltert werden.Erinnert ein wenig an Social Media. Erinnern wir uns kurz an die Anfänge: Der niederschwellige Zugang, mit dem jeder eine Öffentlichkeit erreichen konnte, versprach zunächst eine Demokratisierung von Medien und Meinungen - entpuppte sich aber bald vor allem als eine enorme Aufwertung von unqualifiziertem und teils bösartigen Inhalten. Die mangelnde qualitative Filterfunktion führt zum blanken Manchester-Kapitalismus in der Aufmerksamkeitsökonomie: Nur wer drastisch auffällt, gewinnt. Fortan gilt: Laut statt leise, Emotionen statt Fakten, Intransparenz statt Vielfalt, interessengeleitete Manipulation statt freie Information.
Gut möglich also, dass sich die wahre Enttäuschung über GenAI und Agentic AI erst dann offenbart, wenn laut Gartner-Hype bereits das "Plateau der Produktivität" erreicht ist. ChatGPT & Co. sind dann die Stimmen, die dem Social-Media-Misthaufen den seriösen Anstrich geben.