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Wie der Handel vom aktuellen Food-Onlineboom profitiert
08.09.2020 Im Zuge der Corona-Pandemie kaufen immer mehr Verbraucher weltweit ihre Lebensmittel online. Allein Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und die USA werden 2020 voraussichtlich 350 Millionen mehr Bestellungen von Nahrungsprodukten im Internet verzeichnen als im vergangenen Jahr.



Auf dem vorläufigen Höhepunkt der Corona-Krise Mitte April 2020 stieg der Marktanteil von im Internet gekauften Lebensmitteln in Großbritannien auf 12,4 Prozent. Im vergangenen Jahr hatte er bei 8,1 Prozent gelegen. In Frankreich erhöhte er sich von 6,0 auf 10,2 Prozent, in den USA von 5,1 auf 6,6 Prozent und in Italien von 2,0 auf 4,3 Prozent. In Deutschland liegt dieser Wert im Ländervergleich auf einem niedrigen Niveau, wenngleich er ebenfalls deutlich von 1,5 auf 2,9 Prozent anstieg.
Allerdings stellt der Onlineboom für den Lebensmittelhandel auch ein Risiko dar. Denn die meisten Anbieter erwirtschaften mit den nach Hause gelieferten oder im Geschäft abgeholten Bestellungen deutlich weniger als mit klassischen Verkäufen vor Ort. Oft führe jede Kundenorder sogar zu einem Verlust. Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, sollten die Lebensmittelhändler trotzdem nicht auf das zukunftsträchtige Onlinegeschäft verzichten, raten die Studieautoren.
Umbruch nicht ignorieren
Der dauerhafte Erfolg des Lebensmittelverkaufs im Web hängt maßgeblich von zwei Faktoren ab. Zum einen spielen die Erfahrungen der Endkunden eine Rolle: Wie zuverlässig liefert der Händler und wie frisch sind die bestellten Nahrungsmittel? Zum anderen ist das Zurückfahren der Lockdowns von Bedeutung: Wie schnell lockert die Politik Schutzmaßnahmen, die derzeit noch viele Käufer vom Shoppen im stationären Lebensmittelhandel abhalten? In der Bain-Studie wird diesbezüglich von drei Szenarien ausgegangen - von einer weiteren Pandemiewelle, einem kontinuierlichen Aufheben der Restriktionen und einer raschen Rückkehr zum traditionellen Lebensmitteleinkauf.Mit einem besonders starken Schub für das Lebensmittelgeschäft im Internet ist bei Eintreten des ersten Falls zu rechnen. Bis 2025 würde der Marktanteil in Großbritannien laut Studie auf 14 Prozent steigen, in Frankreich auf 13 Prozent, in den USA auf 11 Prozent, in Italien auf 8 Prozent und in Deutschland auf immerhin 4 Prozent. Selbst ohne einen weiteren Lockdown werde der Onlinekanal aller Voraussicht nach schneller wachsen als vor der Pandemie, so die Bain-Prognose. Aber die Gefahr sei groß, dass sich Lebensmittelhändler und Lieferfirmen auf diesen Umbruch nicht rechtzeitig einstellen.
Allerdings sind bisherige Geschäftsmodelle nicht eins zu eins auf den Onlineeinkauf übertragbar. Wer es dennoch versucht, gefährdet die im Lebensmittelhandel derzeit gängige Gewinnspanne von rund 2 bis 4 Prozent. Mehr noch: Es droht eine negative operative Marge von bis zu minus 15 Prozent, wenn der Händler die bestellten Lebensmittel im Geschäft selbst kommissioniert und dem Onlinekunden ohne Aufpreis liefert. Minus 11 Prozent sind es, wenn dies über ein nicht für Kunden zugängliches Lager (Darkstore-Modell) erfolgt. Auch Click-and-Collect-Lösungen seien nur unter bestimmten Rahmenbedingungen kostendeckend.
Mit drei Strategien zum Erfolg
Um den geschäftlichen Erfolg für die Zukunft abzusichern, sollte der Lebensmittelhandel laut Bain & Company den Fokus auf drei Handlungsfelder legen:- Multikanalmodell optimieren. Branchenvorreiter kombinieren clever Online- und Offlinehandel. Sie setzen verstärkt auf das Darkstore-Modell und geben der automatisierten Produktauswahl sowie -verpackung den Vorzug vor manuellen Tätigkeiten. Zudem errichten sie rasch neue, dezentrale Lieferstationen.
- Profitable Umsatzquellen erschließen. Lebensmittelhändler und Lieferanten erarbeiten neue Geschäftsstrategien, die beiden langfristig entscheidende Vorteile bringen. Dazu zählen gemeinsam finanzierte Markenaktionen, kostenlose Probeartikel für Kunden, die regelmäßig online einkaufen, sowie ein intensiver Informationsaustausch über deren Konsumgewohnheiten.
- Subventionierte Verkäufe reduzieren. Der Handel beteiligt die Kunden an den Onlinekosten. Durch eine faire, nachvollziehbare Preiskalkulation lassen sich die operativen Margen je nach Ausgangsposition um bis zu 20 Prozent steigern. Möglich wird dies beispielsweise durch ein kostenloses Mindesteinkaufsvolumen, Rabatte für gewinnstarke Eigenmarken oder höhere Preise für Eillieferungen.