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Wie Euroweb seine schlechte Reputation im Social Web weiter beschädigte
02.02.2011 Die Entwicklung des Web 2.0 und die resultierende zunehmende Bedeutung der Social Media für das Marketing erleichtert Unternehmen oder Marken, in eine direkte Kommunikation mit den Stakeholdern einzutreten. Gleichzeitig wächst die Bedeutung eines soliden Online Reputation Managements - wächst doch mit jeder Diskussion über ein Produkt in den Social Media auch der Einfluss des einzelnen Kunden: Was immer irgendwo zu einem Produkt gesagt wird, kann virale Effekte zeigen, die nicht notwendigerweise im Interesse des Unternehmens liegen müssen. Ein Parade-Beispiel für die Wichtigkeit stringenten Web Reputation Managements zeigt aktuell Fall des Full-Service-Internetdienstleisters Euroweb, der nicht mit dem Kunden, sondern vielmehr an ihm vorbei kommunizierte - und damit sein ohnehin schon schlechtes Ansehen in den Social Media weiter beschädigte.
Die Vorgeschichte: Euroweb versus nerdcore.de (1:0 für Euroweb)
Obwohl die Marketers von Euroweb











Angesichts rund 55 Prozent Anteil negativer Kommentaren gegenüber lediglich knapp 17 Prozent positiver Äußerungen zum Unternehmen handelt es sich hier eindeutig um ein langwährendes und nachhaltiges Reputations-Problem.
Vor dem Hintergrund, dass die vielen kritischen Konsumenten den Internetanbieter meist so schwerer Vergehen beschuldigen wie "Kundentäuschung", des "Betrugs" oder der "Abzocke", ist kaum zu glauben, dass die Reputation des Unternehmens noch weiter absacken konnte - doch ganz im Gegenteil hat die Reputation des Internetanbieters seit dem 18. Januar diesen Jahres einen neuen Rekord-Tiefpunkt erreicht. Was also war geschehen?
Recherchen zufolge hatte Euroweb bereits im Jahre 2006 einen kritischen Beitrag von Réne Walter
, Autor und Inhaber des Blogs Nerdcore.de
, abgemahnt und eine Entfernung des Beitrages aus seinem Blog gefordert, was der wohl verweigerte. Laut der im Web zu dem Fall aufzufindenden Informationen ist der Blogger dann im Rahmen der folgenden Rechtsstreitigkeiten schließlich zu einer Zahlung in Höhe von 2.000 Euro an das Unternehmen verurteilt worden. Anscheinend scheint Walter sich aber geweigert zu haben, den Betrag an das Unternehmen auch zu bezahlen, so dass Euroweb zu unguter Letzt einen weiteren Titel gegen den Blogger erwirkte und am 18.01.2011 die Domain seines überaus populären Organs Nerdcore.de pfändete.
Was sich Euroweb mit diesem Titel neben dem Gegenwert von 2.000 Euro einhandelte, indem es einen Pfändungstitel gegen Nerdcore.de erwirkte, und welche Dynamik einem negativem Imageaufbau im Social Web zugrunde liegen kann, zeigte sich unmittelbar am 18. Januar 2011, dem Tag der Pfändung.
Der Höhepunkt: Web Reputation versus virale Entrüstung (1:1 - der Ausgleich für nerdcore.de?)
Auf die Pfändung der Domain hätte Euroweb besser verzichtet: Das Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der sich in den Tagen nach dem 18. Januar eine massive Protestwelle entwickelte, ist ein Musterbeispiel für eine Reputationskrise in Zeiten der Echtzeitkommunikation - für die Krise 2.0:
Mit Bekanntwerden der Pfändung brandete ein "Tsunami der Konsumenten-Kritik" auf - sowohl in quantitativer wie qualitativer Hinsicht, wie der Alterian SM2-Chart über die Anzahl der täglichen Konversationen im betreffenden Zeitraum ausweist:
Demnach explodierte die Anzahl der Äußerungen zum Thema Euroweb am 18. Januar, dem Tag der Pfändung der Domain, von unter zehn täglichen User-generierten Kommentaren vor dem 17. Januar auf über 800. Bis zum 25.1, also innerhalb einer Woche, gab es im Social Web schon fast 4.000 Kommentare zu dem Thema - Euroweb hatte sich somit für jeden gepfändeten Euro zugleich zwei tendenziell kritische Nutzer-Kommentare eingehandelt: Ob die Verantwortlichen wohl damit gerechnet haben?
Der Chart über die Verbreitungsmedien (Abb. 3) für diese Äußerungen ergibt, dass sich die Pfändungsnachricht in Windeseile zunächst über alle gängigen Nachrichtenportale und Fachmagazine verbreitete (ca. 1.000 Beiträge) und dann von den einschlägig bekannten Bloggern weiter verbreitet wurde. Hierbei spielte Twitter mit deutlich über 3.000 Tweets die wichtigste Rolle bei der Verbreitung des Unmutes der Community über Eurowebs Entscheidung, die Domain zu pfänden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Blogger mit gut 900 Beiträgen eine fast ebenso mächtige Medienpräsenz erzeugten wie die Fachmedien.
Euroweb reagierte zwar sofort auf diese Meldungen, indem es am 19. Januar 2011 eine Stellungnahme auf seinem Corporate Blog positionierte und auf seinen Facebook- und Twitter-Präsenzen aktiv auf diese Stellungnahme verwies. Vor dem Hintergrund der im Social Web bereits sehr mäßigen Reputation des Unternehmens, und vielleicht auch des Inhaltes der Stellungnahme selber, war die Wirkung dieses Kommunikationsangebots jedoch wie zu erwarten gering: Täglich entstanden Hunderte weitere Kommentare, eine Kommunikation mit den Akteuren rund um die Stellungnahme jedoch entstand nicht. Das Social Web ignorierte das Kommunikationsangebot von Euroweb.
Der Fall Euroweb versus Nerdcore ist ein Paradebeispiel für die typische 2.0-Krise unserer Zeit: Anstatt auf Kritik in diesem neuen Kommunikationsumfeld angemessen zu reagieren, wurde sofort die Konfrontation gesucht, ohne sich über die multiplizierende Wirkung der Meinungsträger bewusst zu sein oder diese überhaupt nur anerkennen zu wolllen. So hatte Euroweb den kritischen Kommentar Réne Walter's über die Geschäftspraktiken des Unternehmens im Jahre 2006 nicht nur gleich anwaltlich abgemahnt, sondern auch noch die Entfernung des Kommentars gefordert - was aus Sicht eines Autors immer den "Ruch der Zensur" in sich trägt - ein Thema, das stets besondere Aufmerksamkeit und besonderen Widerstand seitens der "freien" Bloggerszene entfacht; das hätte Euroweb auch schon 2006 wissen können. Hier wurde also schon der erste Fehler begangen, denn dadurch hatte sich Euroweb nicht nur schon zu Beginn der Auseinandersetzung um alle weiteren Kommunikationsmöglichkeiten gebracht, sondern auch noch die "Szene" gegen sich aufgebracht. Gerade in Hinsicht auf die ohnehin schlechte Reputation sowohl unter Konsumenten als auch anderen populären Bloggern und der weitreichenden Bekanntheit Réne Walters wäre Euroweb gut beraten gewesen, hier deutlich vorsichtiger zu agieren.
Das Ausbleiben eines Stimmungsumschwungs im Falle "Euroweb versus nerdcore.de" hat jedoch nicht nur mit dem allgemein schlechten Ansehen des Unternehmens im Web zu tun: Generell wurden in dieser Krise über die Abmahnung hinaus jede Menge weitere Fehler im Online Reputation Management begangen. Denn zu keinem Zeitpunkt trat Euroweb in einen wirklichen Dialog mit den Stakeholdern beziehungsweise Kritikern ein!
So folgte auch der schnellen Stellungnahme auf dem hauseigenen Blog und dem anschließenden Öffnen der Domain nerdcore.de als Forum für Kritik kein wirklicher Dialog. Statt dessen ließ Euroweb die Kritik auf allen Social-Media-Kanälen einfach über sich ergehen, ohne in irgendeine Interaktion mit den Stakeholdern zu treten: Mehrere tausend unkommentierte Beiträge auf Facebook, auf dem Blog und auf nerdcore.de sprechen hier eine eindeutige Sprache. Kein Wunder, dass unter Kritikern der Verdacht laut wurde, dass auf diesen Plattformen vor allem die negativen Kommentare eingesammelt werden sollten, um sie dann zu gegebener Zeit alle auf einmal löschen zu können - was dem Markenimage nun wirklich nicht weiterhilft!
Die dann einige Tage später offensichtlich unter dem Druck der öffentlichen Meinung erfolgte Aufhebung der Pfändung und die damit verbundene Rückgabe der Domain hat zwar das Volumen und die Heftigkeit der Kritik etwas verringert. Unglücklicherweise entzündete sich an dieser an sich ja korrekten, dem Markenimage eher förderlichen Maßnahme, neue Kritik in einer ganz anderen Domäne: Nun überschütteteten juristische Blogger (u.a. auf lawblog.de




Demnach waren Euroweb und deren Rechtsvertretung, die Kanzlei Berger Rechtsanwälte, bereits 2006 das Ziel kritischer Blogbeiträge und Kommentare auf Fachblogs für Rechtsangelegenheiten gewesen. Darin wurde zumeist der teilweise radikale Umgang mit Kritikern und die allgemeinen Geschäftspraktiken des Unternehmens kritisiert.
Dass Euroweb, obwohl es in den nachfolgenden Jahren unter Juristen wieder verhältnismäßig ruhig um das eigene Unternehmen wurde, ohne Not die juristischen Kommentatoren mit seinem Verhalten gegenüber nerdcore.de wieder neu gegen sich aufbrachte, wie die Alterian SM2-Analyse des Herbstes 2010 zeigt, zeigt die enorme Bedeutung des Social Media Managements für Unternehmen, die im Social Web agieren:
Denn nur vor dem Hintergrund völliger Unkenntnis des eigenen Unternehmensimages im Social Web und der dort vorherrschenden Inhalte läßt sich überhaupt erklären, warum Euroweb wegen geradezu lächerlicher 2.000 Euro mit dem Fall "nerdcore.de" neues Öl ins Feuer goss und sich "stante pede" einen Social Media SuperGAU ersten Ranges einhandelte.
Und natürlich stellt sich angesichts der unternehmenseigenen Erfahrungsplattform
, deren Tonalität dem Social Web gegenüber ganz positiv gehalten ist, die Frage, ob das ganze Social Media Engagement des Unternehmens nicht reine Augenwischerei oder gar gezielte Desinformationspolitik ist: Anders ist nicht zu erklären, warum im freien Web 85 Prozent der Kommentatoren nichts Gutes über den Internetdienstleister zu sagen haben, im eigenen "Blog" aber fast 95 Prozent begeistert sind von den Leistungen des Anbieters.
Über die Autoren: Christoph Cuquemel




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