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Land NRW investiert 2,6 Millionen in Online-Brockhaus für Schulen
22.02.2021 Das Bildungsministerium in Nordrhein-Westfalen erwirbt für 2,6 Millionen Euro Lizenzrechte für die Online-Enzyklopädie von Brockhaus zur Verwendung an Schulen. Netzpolitik.org plädiert dagegen für die Verwendung von freien Alternativen wie Wikipedia oder Klexikon - aus ökonomischen und didaktischen Gründen.
Einheitlicher Grundstock an digitalen Lerninhalten
Das Paket umfasst die Enzyklopädie, ein Jugend- und Kinderlexikon und sei damit "der umfassendste fachlich betreute lexikalische Bestand im deutschsprachigen Raum". Damit Lernende eine Vielzahl von Informationen sicher bewerten könnten, bräuchten sie neben altersgerechten Einstiegsinformationen in übersichtlicher, konzentrierter und schülergerechter Form vor allem objektive Inhalte, so das Ministerium. Dies liefere der Online-Brockhaus.Im Paket enthalten ist außerdem der Online-Kurs 'Richtig Recherchieren', mit dem Schülerinnen und Schüler lernen sollen, selbstbestimmt und verantwortlich mit digitalen Medien umzugehen. Neben Informationstexten, Bildern, Grafiken und Karten enthält das Online-Nachschlagewerk von Brockhaus auch Audio- und Videodateien. "Damit wird digitales Lernmaterial angeschafft, das die Schulbiographie der Schülerinnen und Schüler von Lernanfängern bis zur Oberstufe begleiten und das in allen Unterrichtsfächern und fächerübergreifend eingesetzt werden kann", heißt es aus NRW. Das Brockhaus-Paket umfasst auch eine Vorlese - sowie eine Übersetzungsfunktion für 60 Sprachen.
Ziel ist es, durch den Erwerb von Landeslizenzen einen einheitlichen Grundstock an digitalen Lerninhalten für die Schulen in Nordrhein-Westfalen aufzubauen. Diese werden künftig über die Bildungsmediathek NRW zur Verfügung gestellt. Es ist geplant, die Lizenzen auch direkt in das Lernmanagementsystem Logineo NRW LMS zu integrieren, das mehr als 2.300 Schulen in Nordrhein-Westfalen einsetzen.
An der Lebenswirklichkeit von Schülern vorbei
Mit dem Deal werden explizit für Schüler aufbereitete Online-Inhalte quer über verschiedene Wissensgebiete hinweg zugänglich gemacht. Für die Plattform Netzpolitik.org wirkt die Entscheidung jedoch "etwas aus der Zeit gefallen und weder didaktisch noch wirtschaftlich nachhaltig". Zum einen werde nach Ablauf der drei Jahre der Druck groß sein, die Lizenz zu verlängern. Zum anderen gehe die Nutzung einer proprietären Online-Enzypklopädie an der Lebenswirklichkeit von jungen Menschen vorbei. Netzpolitik.org fragt sich, wie diese das "richtige Recherchieren" lernen sollen, wenn sie auf die Wissensquelle nach der Schule keinen Zugriff mehr haben. Nützlicher wären da Recherche-Kurse für den richtigen Umgang mit Google, YouTube oder eben Wikipedia.Mit Klexikon gebe es außerdem eine frei lizenzierte Alternative, die auf Wikipedia aufbaut und für den Einsatz im Schulunterricht gut geeignet sei. Netzpolitik.org zweifelt außerdem den Lerneffekt eines "vermeintlich objektiven" Online-Brockhauses an. "Entscheidend ist jedoch zu lernen, dass Objektivität immer umstritten und nie endgültig erreichbar ist." Eine reflektierte Auseinandersetzung mit der freien Online-Enzyklopädie Wikipedia sei für diese Lektion besser geeignet. Die Plattform kritisiert zudem "die fragwürdige Politik des Landes NRW" öffentliches Geld für proprietäre Lernmittel auszugeben, statt es in frei lizenzierte Lernunterlagen ("Open Educational Resources", OER) zu investieren.
Am 15. Januar 2021 feierte die user-generierte Online-Enzyklopädie Wikipedia ihr 20-jähriges Jubiläum, am 16. März folgt die deutsche Seite. Heute umfasst das spendenfinanzierte Lexikon nach eigenen Angaben 55 Millionen Beiträge in knapp 300 Sprachen - ein riesiger Wissenschatz. Das Aufkommen von Wikipedia bedeutete deshalb auch eine Zäsur für kostenpflichtige und nicht frei nutzbare Enzyklopädien wie den Brockhaus. Die schweren, ledergebundenen Bücher stellt sich heute niemand mehr ins Regal - ein Online-Klick bringt deutlich schneller Erkenntnisse. Brockhaus musste sein Geschäftsmodell verändern - der heutige Online-Brockhaus bereitet enzyklopädisches Wissen speziell für den Schulbereich auf und vermarktet diesen an öffentliche Bildungsträger.