"Neues Bürokratieungeheuer": Massive Kritik an Gesetzentwurf zum Urheberrecht
04.02.2021 "Tiefer Einschnitt in die Meinungsfreiheit", "Bärendienst" und "Innovationsbremse": Der vom Bundeskabinett am Mittwoch beschlossene Gesetzentwurf für das Urheberrecht verärgert Verbände, Netzaktivisten und die Kreativwirtschaft.
Netzaktivisten und Verbände laufen dagegen jedoch seit Jahren Sturm: Im Frühjahr 2019 hatten deutschlandweit zehntausende Menschen gegen das neue Urheberrecht demonstriert, weil sie eine massive Einschränkung der Netzkultur befürchten. Im Mittelpunkt der Kritik: Uploadfilter, die automatisiert urheberrechtlich geschützte Inhalte erkennen und aussortieren können. Diese Auswahl Programmen zu überlassen, werten Digitalaktivisten als Gefahr für die Kunst- und Meinungsfreiheit. Der am Mittwoch beschlossene Entwurf für das "Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz" soll ein Kompromiss sein - findet aber nur wenig Zustimmung.
Das Gesetzespaket sieht grundsätzlich vor, dass Plattformen für Inhalte, die NutzerInnen hochladen, urheberrechtlich verantwortlich sind und deshalb verpflichtet sind, Nutzungsrechte zu erwerben. Die nötigen Lizenzen sollen sie direkt mit großen Rechteinhabern wie Plattenfirmen oder indirekt mit Verwertungsgesellschaften wie etwa der Gema aushandeln. Ausnahmen soll es für "nicht gewinnorientierte" Online-Enzyklopädien wie Wikipedia, sowie für nicht-kommerzielle Bildungs- und Wissenschaftsplattformen geben. Ausgenommen sind auch Online-Marktplätze und Cloud-Dienste für Unternehmen oder auf denen Nutzer Inhalte für den Eigengebrauch hochladen.
Kurze Inhalteschnipsel sind vorerst erlaubt
Damit nicht sofort automatisch blockiert wird, ist Usern zudem eine "geringfügige Nutzung" urheberrechtlich geschützter Fotos, Artikelteilen oder Videoausschnitten erlaubt - legal sind diese Inhalte damit aber nicht. Der aktuelle Entwurf legt konkrete Grenzen fest:- Bis zu 15 Sekunden Filme und Videos
- Tonaufnahmen bis zu 15 Sekunden
- 160 Zeichen Text
- 125 Kilobyte einer Foto- oder Grafikdatei
Dies gilt vor allem für Inhalte, die Nutzer zu nicht-kommerziellen Zwecken selbst erstellen und hochladen, also zum Beispiel Videos. Eine weitere Bedingung: Ein Upload darf nur weniger als die Hälfte eines fremden Werkes enthalten und muss mit anderen Inhalten kombiniert werden. Geht es um längere Ausschnitte können User diese markieren, wenn sie der Ansicht sind, dass sie nicht gegen das Urheberrecht verstoßen. Nicht geblockt werden sollen etwa Zitate, Karikaturen, Parodien und Pastiches (z.B. Memes, GIFs, Remixes).
Die Reaktion der Verbände
Was als Kompromiss gedacht ist, stößt auf breite Ablehnung - und wenig Zustimmung.Susanne Dehmel , Mitglied der Bitkom -Geschäftsführung:
"Die große Urheberrechtsreform enttäuscht in vielen Bereichen. Das ursprüngliche Ziel, ein modernes Urheberrecht für den digitalen Binnenmarkt zu schaffen, wird klar verfehlt. Auch wenn es die Bundesregierung so nicht nennen möchte, die Upload-Filter sollen kommen. Mit dem Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz werden Betreiber von bestimmten Online-Plattformen erstmals mit einer allgemeinen Überwachungspflicht ihrer Dienste belegt, alle Nutzerinhalte müssen demnach automatisiert gescannt werden. Das allein ist ein großer Rückschlag für das freie Internet. Die einzelnen Vorgaben zur Überwachung, Sperrung und Moderation von Nutzerbeschwerden sind technisch schlicht nicht umsetzbar. Die betroffenen Plattformen stehen vor einer kaum lösbaren Aufgabe. Die neuen Vergütungsregeln für Urheber und Rechteinhaber brechen zudem mit zuvor bewährten Modellen. Für Kreative leistet das Gesetz einen Bärendienst. Es ist hochwahrscheinlich, dass sie künftig in Summe weniger Lizenzeinnahmen erzielen als nach den alten Regeln."
Der Auskunftsanspruch für Urheber schaffe außerdem "ein neues Bürokratieungeheuer", so Dehmel. "Kosten und Nutzen stehen bei dieser Informationspflicht in keinem Verhältnis."
Einzig zu begrüßen an der Umsetzung der Urheberrechtsreform seien laut Dehmel die Regelungen zum sogenannten Text-und-Data-Mining. "Neben Wissenschaft und Forschung ist auch die Wirtschaft von einer vorherigen Erlaubnis eines Rechteinhabers befreit. Die EU schafft damit Rechtssicherheit und ebnet den Weg für Innovationen im Bereich Künstliche Intelligenz."
Annette Kümmel, Vorstandsvorsitzende des VAUNET:
Der heute im Kabinett verabschiedete Entwurf zur Reform des Urheberrechts schädige die deutsche Kreativwirtschaft und den europäischen Binnenmarkt, erklärt der VAUNET - Verband deutscher Medien . Dem schließen sich der Bundesverband Musikindustrie (BVMI), Bundesverband professioneller Bildanbieter (BVPA), Deutscher Fußball-Bund (DFB), Deutsche Fußball Liga (DFL), die Allianz Deutscher Produzenten, die SPIO - Spitzenorganisation der Filmwirtschaft und der Verband unabhängiger MusikunternehmerInnen (VUT) an.
Dazu Annette Kümmel , Vorstandsvorsitzende des VAUNET: "Die Kultur- und Kreativwirtschaft hat mehrfach und in breitem Schulterschluss den geplanten deutschen Sonderweg des BMJV (Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz) kritisiert, der weit über die europäische DSM-Richtlinie hinausschießt. Die vorgesehenen Verschärfungen des Urhebervertragsrechts und die Einführung eines Direktvergütungsanspruchs würden die Sender sowie Unternehmen der Kreativbranche wirtschaftlich schwer belasten. Die DSM-Richtlinie lässt sektorspezifische Bereichsausnahmen zu und erkennt damit die nationalen Besonderheiten der Märkte an. Diese Gestaltungsspielräume muss der Gesetzgeber nutzen - zum Schutz unserer Kreativwirtschaft, zur Stärkung unseres Medien- und Produktionsstandortes und zur Schaffung eines Level-Playing-Field gegenüber den digitalen Gatekeepern."
Verband Deutscher Zeitschriftenverleger(VDZ) und der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV):
Die beiden Verbände mahnen eine zügige Umsetzung und wirksame Schutzrechte für journalistische Inhalte an: "Die EU-Urheberrechtsrichtlinie gibt den Mitgliedsstaaten einen besseren Schutz der Urheber und Rechteinhaber gegenüber den Megaplattformen vor. Das muss auch Maxime der weiteren Umsetzung in Deutschland bleiben", hieß es dazu von den Verbänden. Der Regierungsentwurf sehe unter anderem ein Leistungsschutzrecht für journalistische Produkte vor. Dies sei ein Schlüssel, um die Ausbeutung journalistischer Inhalte durch kommerzielle Plattformen künftig einzudämmen. Darüber hinaus gelte es im weiteren Gesetzgebungsverfahren darauf zu achten, dass dem Journalismus in der digitalen Ära nicht durch zu weiche Vorgaben für die Haftung der großen Plattformen durch die Hintertür wichtige Erlöse entzogen würden. Der Beschluss dürfe keinesfalls hinter den europäischen Vorgaben zurückbleiben. "Wir vertrauen darauf, dass der Bundestag den Journalismus mit dem neuen Urheberrecht nicht schwächen, sondern stärken will," so die Verbände.
eco -Vorstandsvorsitzender Oliver Süme :
"Die auch im jüngsten Gesetzentwurf getroffenen Neuregelungen zum Leistungsschutzrecht für Presseverleger führen in Verbindung mit den zusätzlich geplanten Uploadfiltern zu einem tiefen Einschnitt in die Meinungsfreiheit und lähmen die Entwicklung von neuen sowie innovativen Plattformen in ganz Europa."
In Bezug zum Leistungsschutzrecht warnt der eco Vorstandsvorsitzende davor, dass die Definition zu "kurzen" Artikelausschnitten, die Plattformen und Suchmaschinen aus Pressebeiträgen lizenzfrei zitieren dürfen, zu vage ausfalle. Süme: "Wird das EU-Urheberrecht in dieser Form umgesetzt, sind langwierige Rechtsstreitigkeiten unausweichlich." Aufwand und Kosten zur Durchsetzung des Gesetzes stünden nicht im Verhältnis zu den für die Verlage entstehenden Einkünften.
"Es gibt keinen Zweifel daran, dass die Rechte von Kreativen und Verlagen an ihren Texten zu respektieren sind, aber hier wird mit zweierlei Maß gemessen", so Süme weiter.
Bezüglich der Regeln für das Teilen von Online-Inhalten kritisiert eco zudem, dass die konsequente Umsetzung faktisch nur mit Upload-Filtern funktioniert. "Ob zu wenig oder zu viel gesperrt wird, die Haftung trifft immer die Diensteanbieter, die binnen Sekunden über die im Urheberrecht meist sehr komplexen Sachverhalte entscheiden müssen - meiner Meinung nach der gänzlich falsche Ansatz" so Süme weiter. "Nur die Justiz - nicht private Anbieter und Unternehmen - sollte entscheiden, was Recht und was Unrecht ist."