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Neue EBook-Geschäftsmodelle jenseits des E-Books
05.02.2013 Die meisten Verlage können kaum vom EBook-Trend profitieren, nicht zuletzt deswegen, weil es ihnen bisher an Innovationen mangelt. Denn neue Geschäftsfelder entstehen auch an Stellen, an die bislang kaum einer gedacht hat.
Alles kein Ersatz für das Stöbern in völlig unbekannten Büchern in der Buchhandlung. Aber wie vermarktet man dann Bücher, wenn weder Volltextsuche noch Recommendation Engine befriedigende Ergebnisse bringen. Leseproben bietet Amazon an, was den viele Nutzern entgegenkommt, die gar nicht für E-Books bezahlen wollen, wie die Studie der Urheberrechtsexperten von Lisheenageeha Consulting Limited herausgefunden hat.
Tatsächlich aber existiert eine Bereitschaft dafür, kleinere Beträge für einzelne Kapitel auszugeben. So wächst die Zahl der Angebote von Verlagen und Autoren, die - statt ein Gesamtbuch zu verkaufen - ihr Werk kapitelweise auf Amazon anbieten. Frei nach dem Trend der Content-Fragmentarisierung, wonach ein Buch nicht länger ein Buch ist, vielmehr als Content-App gesehen werden muss, wie iBusiness analysiert hat .
Dieses Phänomen könnte sich dafür nutzen lassen, das intensive Stöbern und das Anlesen von Büchern in ein Geschäftsmodell zu verwandeln. Denn wenn sich die Nutzung von Content ändert, sollte dies auch der Content selbst tun.
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Fest steht, dass sich der EBook-Anteil am Gesamt-Buchmarkt von einem Prozent im vergangenen Jahr auf aktuell zwei Prozent gesteigert hat, dies belegen die Umsatzzahlen der GfK . Verlagsberater Ehrhardt Heinold , Geschäftsführer der Unternehmensberatung Heinold, Spiller und Partner sieht jedoch deutliche Unterschiede im deutschen Verlagsgeschäft: "Einige Verlage sind dramatisch über die für den Gesamtmarktanteil festgestellte Zwei-Prozent-Marke hinaus", so Heinold. Nehme man die Groschenromane und den Erotik-Markt hinzu, sieht Heinold schnell Umsätze im zweistelligen Bereich. Fachverlage und Wissenschaftsverlage seien zum Teil bei über 50 Prozent EBook-Anteil an ihrem Gesamtumsatz.
Das Stöbern nimmt ab, das Zielkaufen nimmt zu
Weil fast die Hälfte der Buchumsatzes in Deutschland noch über den stationären Buchhandel läuft, lässt sich allerdings der "Großteil der Kunden auch heute von ihrem Buchhändler beraten und stöbert dort in den Regalen vor Ort", glaubt Claudia Paul vom Börsenverein des deutschen Buchhandels , die zugleich betont, dass Stöbern im Netz eine Zukunft haben wird. Fragt sich nur, wie die aussehen kann.Wenn es stimmt, dass das Entdecken und Stöbern von Content vom Aussterben bedroht ist, wie paidContent in "Why online book discovery is broken (and how to fix it)" schreibt, dann wird es Zeit mit innovativen Ideen auf den Markt zu gehen. Vom Aussterben spricht Steffen Meier von Ulmer Online keineswegs. Dass noch nicht im selben Umfang online gestöbert wie gekauft wird, ist für ihn eher ein "Gap - der sich aber mehr und mehr schließt." Meier glaubt, dass sich das "Entdecken interessanter Literatur ins Netz verlagern wird, ebenso wie Informationsaufnahme und Kommunikation immer mehr dorthin abwandern."
Das Stöbern wird weniger, glaubt hingegen Ute Nöth
, Projektmanagerin für Enhanced EBooks bei Books-Plus
. Online sei man geneigt das zu kaufen, was man ohnehin schon kennt, meint Nöth. Das bestätigt auch Bettina Althaus
von Buch.de
. "Mehr als 90 Prozent der Online-Buchshopper tun dies mit einer klaren Kaufabsicht."
Doch in dem Maße wie das Online-Angebot an Titeln immer riesiger und unübersichtlicher wird, bekommt die Orientierungsfrage für Leser damit zunehmende Bedeutung, gerade auch in Anbetracht schließender Sortimente, meint Nöth.
Schon jetzt sind drei zentrale Entwicklungen zu beobachten, wie Nöth bestätigt:
- Autoren als bewährte Marken werden stärker. Gerade amerikanische Verlage versuchen derzeit die Autoren-Leser-Bindung zu intensivieren. Ein Beispiel: die App "The World of Richelle Mead
". Hier hat Penguin
sämtliche Romane, Update-Funktionen, aktuelle Autoreninfos und Social-Media-Kanäle in ein Produkt gegossen. Oder AuthorTracker
von Harper Collins
, ein Benachrichtigungssystem für neue Veröffentlichungen eines Autors.
- Bestsellertitel werden noch stärker nachgefragt, da man sich online erfahrungsgemäß an Listen orientiert, somit werden Überraschungsentdeckungen beim Stöbern im Laden weniger.
- Mehr Me-too-Produkte, siehe die aktuelle "Shades-of-Gray-Lawine"
Dennoch: Man muss vom Leser her denken und sich fragen, " wie stöbert man analog und wie kann man das digital umsetzen?", so Pauls Ansatz. Zugleich schränkt sie ein, dass "digitales Stöbern" vielleicht doch etwas anders aussehen könnte. Ohnehin hält sie die Empfehlung für das wichtigste Mittel, wichtiger als das Stöbern. Ihre Vision fürs Netz: Die "Leserberatung der Buchhändler auf sympathische, informative und auffindbare Weise ins Netz übertragen".
Fünf aktuelle Entdeck- und Stöbermodelle
Die Modelle | Beschreibung |
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Social Shopping: | Alles, was in Richtung persönlicher Empfehlung geht. Wenn Anbieter mir nicht nur anzeigen, welche weiteren Produkte andere Leser kaufen, sondern welche Produkte meine Freunde kaufen. |
Flatrate-Modell | Beispielsweise Skoobe
, wo man gegen eine Pauschale hemmungslos durch ein breites Angebot schmökern kann und auch Tipps von anderen in Anspruch nehmen kann. |
Lesecommunity: | Intensivleser kann man sehr gut übers Netz erreichen und binden, so beispielsweise in funktionierenden Lesecommunitys wie Lovelybooks
oder die US-Community Goodreads
. Dort gibt es viele aktive Leser, die etwa über Leserunden neue Bücher für sich entdecken, doch die breite Masse ist dort nicht aktiv. |
E-Book als Marketinginstrument: | Durch die Einbindung von Leseproben oder die Vorstellung ähnlicher Titel lassen sich Leser direkt und gern auf eine neue Lektüreidee bringen. |
Emotional Book Search: | Passend zum Gefühl kann mit der "emotionalen buchsuche
" das richtige Buch gefunden werden. Es handelt sich um ein Plug-in, das Onlineshops verwenden können, um den Kunden eine zusätzliche Suchoption zu liefern. Der Kunde kann hier nach Emotionen, die beim Lesen durch Inhalt, Text, Stil und Geschichte entstehen, Bücher suchen. Ein personalisiertes Sucherlebnis hinterlässt so nicht nur einen positiven Eindruck, auch die Kaufwahrscheinlichkeit kann ansteigen. Eine Form der ganz persönlichen Onlineberatung. |
Timelines und Likes bei Facebook haben nur begrenztes Potenzial
Über Bücher - ganz anders als bei Musik - wird in Social-Media-Kanälen "vergleichsweise wenig diskutiert", so die Erfahrung von Ute Nöth. Buchtipps in den Timelines der User seien eher die Seltenheit. Weil die Thematik "zu komplex" ist und der Austausch "meist nicht unmittelbar erfolgen kann wie bei einem geposteten Musikvideo", vermutet sie. Während das Wissen über den Musik- oder Filmgeschmack meiner Kontakte meist recht gut ist, auch darüber, welche Artikel sie toll finden ist man im Bilde. "Aber eher nicht, welche Bücher sie mögen und lesen", erklärt Nöth. Zwar gebe es "austauschwillige Intensivleser", die ihre eigenen, funktionierenden Gruppen haben, aber das "ganz große Potenzial für Bücher im Social-Media-Bereich", sieht die Frau von Books-Plus nicht.Empfehlungen der Community greifen nicht genug
Es ist weniger die Community an sich, die neue Anstöße vermittelt, vielmehr sind es "meine 'Trending People'", sagt Nöth - "interessante Menschen, deren Blogs ich lese oder denen ich auf Twitter folge, weil sie für mich relevante Themen und Meinungen vertreten." Deren Buch- oder Magazintipps hätten für viele andere eine hohe Relevanz, viel mehr in der Zwischenzeit als das klassische Feuilleton, so Nöth.
Ein "stark diversifiziertes digitales Feuilleton" bestehend aus vielen Spezialisten für bestimmte Bereiche und immer kleinere Nischen, die zur Orientierung im Informationsüberangebot verhelfen, darin sieht Steffen Meier die Relevanz künftiger Empfehlungsmodelle. Um Literatur, um Themen, um Autoren werde es immer mehr Communities geben, die Empfehlungen aussprechen. Durch den "menschlichen Relevanzfaktor, durch das Vertrauen in die Community können hier starke Kaufimpulse ausgelöst werden", ist Meier überzeugt.
Lovelybooks sei eine solche Community - mit durchaus schon "merkantiler Relevanz für Verlage und deren Produkte". Auch Autoren selbst werden hier eine immer größere Rolle im Kontakt mit dem potenziellen Leser spielen, so Meiers Prognose.
Stöber-Angebote einiger Plattformen: |
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Neue Perspektiven durch Customer Journey
Bislang hat auch beim EBook-Kauf das Prinzip Last Click Counts gegolten, wie Dr. Florian Geuppert von Books on Demand erklärt. Empfehlungen und Rezensionen erfolgten eher offline oder es wurden allenfalls die Produkte wahrgenommen, die der Nutzer auf seinem Weg zur Bestellung angeklickt hat."Das Ganze bekommt durch Social CRM, also die Bewertung der Kommunikation, nicht nur des Surfverhaltens, eine ganz neue Dimension", sagt Meier. Im Gegensatz zu vielen anderen physischen Produkten, die sich nicht digitalisieren lassen (etwa Modeartikel, Haushaltsgeräte etc.) könne das "digitale Gut E-Book auch in der Nutzung analysiert werden". Daraus ergeben sich für Marketing, aber auch im Bereich neuer Produkt- und Angebotsmöglichkeiten völlig neue Perspektiven, zeigt sich Meier zuversichtlich.
So klinge etwa In-App-Purchasing bzw. Free Gaming bei E-Books zunächst sonderbar, aber dies sei "bei Fachliteratur durchaus denkbar", glaubt Meier weiter und schwadroniert: "Ein ausführliches Summary, das zum Erfassen der Materie ausreichend ist, als Marketinginstrument kostenlos, die einzelnen vertiefenden Artikel aber kostenpflichtig." Denkbar seien auch virale Effekte. Multiplikatoren können in der Belletristik auf diese Weise genutzt werden, indem die Community in den Schreibprozess integriert wird. Weitere Szenarien sind der Fantasie der Marktteilnehmer keine Grenzen gesetzt. Fest steht nach Meiers Ansicht aber, dass es letztlich eine stärkere Vermischung zwischen Vermarktung und Produkt geben wird.
Sicher wird sich durch die technologischen Möglichkeiten auch beim Entdecken und Stöbern der Optionsraum erweitern, wie BoD-Chef Geuppert glaubt. Die Frage sei nur, welche Modelle tatsächlichen Mehrwert bringen. Geuppert geht daher von viel "trial and error" aus, bis sich wirklich sinnvolle Geschäftsfelder entwickeln. Für ihn ist klar, dass es immer einen Mix geben wird. Auch die Customer Journey des Nutzers beim Stöbern wird nicht alles erfassen können, ist Geuppert skeptisch.
Zwar seien Seiten wie Goodread wertvoll, um neue Inspiration außerhalb des Freundes- und Bekanntenkreises zu erhalten, aber es werde meist nicht sofort im Anschluss gekauft, das erschwere die Customer Journey, so Geuppert.
Bücher sind zu komplex
Ute Nöth ist der Auffassung, dass der Gesamtumsatz mit Büchern eher sinken wird, je höher der Online-Anteil steigt. Allein schon wegen der vielen "Mitnahmeeffekte" in der Buchhandlung, etwa im Geschenkbuchbereich. Sie glaubt, dass von allen Medien Bücher online "mit am schlechtesten zu vermitteln" sind, ganz im Gegensatz zu Musik oder Filmwerken. "Bücher sind zu komplex, zu wenig unmittelbar erfahrbar", sagt Nöth.Und trotz aller möglichen Ansätze das Stöbern und Entdecken in neue Geschäftsmodelle zu verwandeln, werden wohl vor allem die Kurations- und Community-Modelle am ehesten eine Chance haben. Der Leser braucht eine Orientierung, die ihm Spezialisten und die Community vermitteln können. Nicht mehr und nicht weniger.
Vier Szenarien für die Zukunft des Stöberns von E-Books:
Die Community wird zum Buch-Treiber
Soziale Netzwerke werden die Empfehlungen durch die Ausweitung der literarischen Themenfelder deutlich verbessern und dem Leser nicht nur über Freunde Lesertipps geben sondern in interaktiven Foren werden neue Inspirationen geschaffen.
Customer Journey präzisiert die Angebote
Durch verfeinertes Tracking des Leseverhaltens werden viel genauere persönlichere Entdeckungen von Büchern möglich. Je zielgenauer die Angebote werden umso stärker wird der Nutzer diese auch nutzen.
Zusatz-Content und Häppchen beflügeln
Die Autoren sind ein entscheidender Treiber in diesem Markt. Sie werden ihr Storytelling dahingehend verändern, dass sie den Content anders aufbereiten. So werden sie portions- und häppchenweise schreiben und dadurch die Aufmerksamkeit auf hohem Niveau halten und zum einen das Augenmerk auf weitere Titel ihres Werkes lenken und zum anderen auf verwandte Veröffentlichungen.
E-Books werden weiter nur gekauft, nicht gestöbert
Es wird sich nach vielen Versuchen kein griffiges Modell für das Entdecken und Stöbern durchsetzen. Der Leser ist pragmatisch, lässt sich Bücher offline empfehlen und kauft sie im Netz.