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"Ich war am Boden. Und bin geblieben - nur nicht dort."
22.07.2025 Depression, Burnout, Zusammenbruch - auch in der Digitalen Wirtschaft keine Seltenheit. Affiliate-Guru André Koegler, Strategic Partnerships & Country Lead DACH bei Impact.com, hat beschlossen, seine Depression öffentlich zu machen. Wir haben mit ihm gesprochen.
Du hast beschlossen, Deine Depression öffentlich zu machen - warum dieser Schritt?
Wir sprechen in unserer Branche über Performance, KPIs und Skalierung. Aber viel zu selten über das, was wirklich wichtig ist: psychische Gesundheit. Auch ich habe diese Erfahrung gemacht. Und ich spreche heute darüber.Der Fall von Wolfgang Grupp hat viele aufgerüttelt. Mich auch. Nicht, weil es überraschend war - sondern weil es zeigt, wie still diese Krankheit sein kann. Und wie dringend wir darüber sprechen müssen.
Warum der plötzliche Schritt?
Die letzten Tage haben bei mir etwas ausgelöst. Die Nachricht, dass Wolfgang Grupp - Geschäftsführer eines traditionsreichen Familienunternehmens - offen über seine Depression und einen Suizidversuch spricht, hat mich bewegt. Es hat etwas in mir zum Klingen gebracht, das tief in mir liegt. Etwas, das ich lange nur in mir getragen habe. Aber nicht mehr schweigend. Denn ich weiß, wie es sich anfühlt.Was ist passiert?
Ich habe lange gebraucht, um mir einzugestehen, dass ich Hilfe brauche. Aber ich habe sie mir geholt, hab mir eine Auszeit genommen, war in einer Klinik und nehme seitdem Medikamente. Und ich habe gelernt, meine Krankheit nicht als Schwäche zu sehen, sondern als Teil meiner Geschichte.Heute bin ich immer noch ich - aber bewusster. Ich treffe klarere Entscheidungen. Ich kommuniziere ehrlicher. Ich führe menschlicher, ehrlicher, persönlicher. Ich bin ruhiger geworden. Weniger getrieben. Aber nicht weniger ambitioniert.
Du sagst, dass Depression etwas mit Führungsverantwortung zu tun hat.
Was mich in diesem Zusammenhang zunehmend irritiert, ist der öffentliche Stolz mancher Führungskräfte darauf, dass sie "selbst im Urlaub nicht abschalten wollen oder können". Als wäre permanente Erreichbarkeit ein Beweis für Leistungsfähigkeit. Ich halte dieses Verhalten für toxisch. Wer sich selbst keine Pause zugesteht, sendet ein fatales Signal an seine Teams: Dass Erholung Schwäche ist. Dass man jederzeit verfügbar sein muss. Dass Selbstaufgabe ein Erfolgsmodell ist.Gerade wir in Führungspositionen haben die Verantwortung, ein anderes Bild zu vermitteln: Dass mentale Gesundheit Priorität hat. Dass Grenzen ziehen nicht von mangelndem Commitment zeugt, sondern von Bewusstsein. Und dass nachhaltige Leistung nur auf einem stabilen Fundament entstehen kann.
Warum der Schritt in die Öffentlichkeit?
Weil es viele gibt, denen es genauso geht - die aber nicht darüber sprechen können. Weil wir in unserer Branche immer noch zu oft nach außen hin glänzen müssen, während es innen brennt. Weil ich in einer Verantwortung stehe - als Führungskraft, als Referent, als jemand, der gehört wird. Und weil wir gerade in unserer leistungsgetriebenen Welt neue Narrative brauchen. Ehrlichere. Wahrhaftigere.Gerade im Affiliate-, Performance- und Partnermarketing, wo Wachstum, Effizienz und Skalierung im Mittelpunkt stehen, vergessen wir oft den Menschen hinter den Zahlen. Wir sprechen viel über Attribution, Tracking, Customer Journeys, Tools und Prozesse. Aber kaum über Überlastung, emotionale Erschöpfung oder mentale Krisen. Dabei betrifft es auch unsere Branche. Unsere Teams. Uns selbst.
Sollten mehr Betroffene den Schritt in die Öffentlichkeit machen?
Depression hat viele Gesichter. Sie ist kein Makel, kein Karriereende, kein Zeichen von Schwäche. Sie ist eine Erkrankung - behandelbar, begleitbar, überlebbar. Aber nur, wenn wir anfangen, darüber zu sprechen.Ich weiß, dass nicht jeder diesen Weg gehen kann oder will. Aber vielleicht hilft dieser Beitrag jemandem, sich einzugestehen: Ich bin nicht allein. Und vielleicht macht er anderen Mut, nicht nur zu funktionieren - sondern zu leben.
Aus Deiner Erfahrung: Was würdest Du Dir wünschen?
Mehr Offenheit im Business-Kontext für mentale Gesundheit. Eine Führungskultur, die Raum für Menschlichkeit lässt. Strukturen, die nicht nur Leistung ermöglichen, sondern Leben schützen. Und mehr Menschen, die den Mut haben, ehrlich zu sein - mit anderen, aber vor allem mit sich selbstJeder achte Erwachsene in Deutschland erlebt mindestens einmal im Jahr eine echte Depression. Fast jeder zweite ist direkt oder als Angehöriger betroffen. Das zeigt klar: Mentale Gesundheit ist kein Nischenthema, sondern Alltagsrealität.
Verantwortungsträchtige Führungskräfte sollten das zur Basis ihres Verständnisses machen - gesundheitlich, kulturell, strategisch.
Ich habe überlebt. Und heute lebe ich bewusster. Wenn dieser Artikel nur einen Menschen erreicht, der dadurch den Mut fasst, sich Hilfe zu holen - dann war es das wert.